Zwei Akkorde
Roman, Softcover, 400 Seiten, 13,5 x 21,5 cm, Self-Publishing/BoD, 12/2024, ISBN: 978-3-7693-1484-7
Auch als eBook erhältlich, ISBN: 978-3-7693-8381-2
Wolf hat alle Pfoten voll zu tun. Die Vorbereitungen auf das bislang wichtigste Konzert der Gruppe DRACHENFLUG, vormals Bremer Stadtmusikanten, halten ihn auf Trab.
Die mäßig begabten Musikanten, um die er sich seit einiger Zeit kümmert, sollen anlässlich König Dummlings Thronjubiläum aufspielen. Doch scheinen sie dieser Aufgabe nicht gewachsen zu sein. Unter dem Einfluss berauschender Substanzen kommt es immer häufiger zu Streitigkeiten, die das Gefüge der Gruppe in Gefahr bringen.
Da zieht ein Todesfall Wolfs Aufmerksamkeit auf sich. Eine alte Bekannte, die Knusperhäuschen-Hexe, ist ermordet worden. Zudem hat der Täter Wolfs Gute-Laune-Kraut gestohlen. Wolf, der mit dem Verkauf der Drogen seinen Lebensunterhalt bestreitet, sieht plötzlich seine Existenz gefährdet.
Während DRACHENFLUG auf ein Fiasko zusteuert, nimmt Wolf die Spur des Mörders auf. Hexenmeister Fitcher erweist sich dabei als wenig hilfreich. Bald wird klar, dass er sein eigenes Süppchen kocht.
Textprobe
»Rotkäppchen muss bald kommen«, sagte Großmutter mit ihrer kratzigen Stimme. »Sie bringt mir Speis und Trank von meiner Tochter. Wie immer. Jedes Mal schleppt sie das gleiche an. Diesen trockenen Kuchen, den ich ja doch nur an die Vögel verfüttere. Und der Wein ist der billigste, den man in der Stadt kriegen kann, so sauer, dass sich meine Mundschleimhäute in Falten legen wie mein altes Gesicht. Erzähl mir, Wolf, was draußen in der weiten Welt vor sich geht. Hier in meiner einsamen Hütte bin ich die Letzte, die Neuigkeiten erfährt. Rotkäppchen ist wortkarg. Kaum ist sie da, muss sie schon wieder weg … Sie hat viel zu tun, weißt du, sie ist ein beschäftigtes junges Ding.«
Beschäftigt am Hofe, dachte Wolf, und damit, ihm das Leben schwerzumachen.
»Ich wusste nicht, dass sie Kontakte zum Prinzen unterhält«, nahm er das Thema auf. »Stimmt das?«
»Ja, das ist richtig«, bestätigte Großmutter. »Sie und der junge Prinz verstehen sich prächtig.«
»Wie kommt das? Üblicherweise bevorzugt der edle Herr blaublütige Gesellschaft und wenn schon nicht blaublütige, dann zumindest gut betuchte.«
Großmutter streckte ihren krummen Rücken. Nachdenklich blinzelte sie in die Sonne. »Nun, es liegt schon einige Zeit zurück, dass er sie an seinen Hof holen ließ. Das war nachdem er von ihrem verwandtschaftlichen Verhältnis erfahren hatte.«
»Bitte?« Wolf war irritiert. »Verwandtschaftliches Verhältnis? Wie meinst du das?«
»Hat sie dir nie davon erzählt?«
»Rotkäppchen? Nein, das hat sie nicht.«
Mit zitternder Hand kraulte Großmutter Wolf am Kinn. »Dann werde ich es tun. Es ist kein Geheimnis.«
»Also wie?«, drängte er. »Rotkäppchen und der Prinz sind verwandt?«
»Ja, in der Tat, das sind sie. Der alte König Dummling war in seiner besten Zeit ein rechter Hallodri«, lächelte sie versonnen. »Zum Ärger der verstorbenen Königin lief er allem hinterher, das einen Rock trug.«
Ganz im Gegensatz zu seinem Sohn, dachte Wolf.
»Was Frauen anbelangte, war er kein Kostverächter. Auf Reisen, bei Jagdausflügen, wenn er seine Untertanen besuchte … Er hatte in jedem Stall ein Pferdchen stehen, wie man so schön sagt. Du verstehst, was ich meine.«
Wolf verstand.
»Und so ergab es sich«, fuhr Großmutter schmunzelnd fort, »dass ihm so manches uneheliche Kind geboren wurde.«
»Richtig.« Dass sich in Siebenbergen der eine oder andere königliche Bastard herumtrieb, war allseits bekannt. »Aber was hat das mit Rotkäppchen zu tun?«, wollte Wolf wissen. »Sag bloß, sie ist seine Tochter.«
»Sie nicht, aber ihre Mutter.«
»Ihre Mutter also …« Wolf überlegte. »Dann ist ihre Mutter quasi des Prinzen Halbschwester und Rotkäppchen seine … Halbnichte?«
»So ist es, Wolf«, bestätigte Großmutter.
Wolf spann den Gedanken weiter. »Dann ist die Mutter von Rotkäppchens Mutter eine jener ehr- und schamlosen Jungfern gewesen, die sich in einer schwachen Stunde dem König hingegeben haben.«
»Wenn du es so ausdrücken willst …«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, du musst dich irren. Das kann nicht stimmen. Die Mutter von Rotkäppchens Mutter bist ja du.«
»Stimmt. Und es waren mehrere schwache Stunden.«
»Oh.«
Großmutter atmete tief durch. »Verurteile mich nicht! Dummling war ein fescher und fröhlicher Bursche, großzügig und auf seine Weise ehrlich. Er versprach nie etwas, das er nicht halten konnte. Die Ehe zum Beispiel. Und wenn man, so wie ich, aus ärmlichen Verhältnissen stammt, sagt man nicht nein zu etwas königlicher Zuwendung, selbst wenn sie nicht den gängigen Moralvorstellungen entspricht.«
Eine Schwebfliege tanzte vor Wolfs Schnauze auf und ab. Sie schien nicht zu wissen, wohin sie wollte. Schließlich landete sie auf seiner Nasenspitze und begann, ihre riesigen Augen zu putzen. Wolfs Versuch, sie mit der Zunge zu erwischen, schlug fehl.
»Verzeih mir, Großmutter«, murmelte er und kratzte sich am Hals. »Ich wollte dich keineswegs beleidigen. Das mit den ehr- und schamlosen Jungfern trifft selbstverständlich nicht auf dich zu.«
Großmutter lachte. »Ist schon gut. Ich war jung, ich brauchte das Geld. Jetzt bin ich alt und habe alles erlebt, was man erleben kann. Mich erschüttert längst nichts mehr. Und nun du, Wolf. Erzähl mir, wie es dir ergeht.«
»Im Moment herrschen schwierige Zeiten«, berichtete er nach einem tiefen Seufzen. »Eine gute Freundin ist gestorben. Sie wurde das Opfer eines Meuchelmörders und Diebes. Ihr Schicksal hat mich sehr getroffen.«
»Tut mir leid, das zu hören.«
»Und da diese Untat sonst niemanden interessiert, liegt es an mir, für Gerechtigkeit zu sorgen und den Bösewicht zur Verantwortung zu ziehen.«
»Wer war die arme Seele?«
»Du wirst sie nicht kennen. Sie ist … war … eine Hexe aus dem Dunklen Wald. Sie lebte ungefähr anderthalb Stunden westlich von hier, nahe dem ersten der Sieben Berge.«
Großmutter sah Wolf aufmerksam an. »Möglicherweise kenne ich sie doch. Ist es die, die man Knusperhäuschen-Hexe nennt?«
»So nennt sie zwar niemand, aber ja, sie hatte ihr Haus aus Brot, Kuchen und Zucker gebaut. Frag mich nicht, warum. Vielleicht wollte sie ihre alten Lebensmittel nicht wegwerfen. Na ja, sie war immer ein bisschen wunderlich.«
Großmutter schloss ihre Augen und streckte ihr Gesicht den Sonnenstrahlen entgegen. »Dann ist es die, die ich meine. Eine schrullige, aber wirklich nette und lustige Person. Wir sind uns früher öfters im Schloss begegnet.«
»Im Schloss?« Überrascht richtete sich Wolf auf. »Mir war nicht bekannt, dass sie jemals den Dunklen Wald verlassen, geschweige denn, sich im Schloss aufgehalten hat. Was wollte sie denn dort?«
»Verurteile auch sie nicht, denn wie ich war sie eine von Dummlings Gespielinnen. Manchmal besuchte er uns, manchmal ließ er uns heimlich aufs Schloss bringen, meistens wenn seine Gemahlin unpässlich darniederlag. Und manchmal bat er mehr als nur eine von uns zur gleichen Zeit in seine Gemächer.«
»Na, da hört man ja Sachen …«, grinste Wolf.
»Deine Hexe und ich waren bald ein eingespieltes Gespann.«
»Ein eingespieltes Gespann? Wie darf ich mir das vorstellen?«
»Nun, wir erwiesen unserem König gemeinsam die Ehre. An all seinen erlauchten Ecken und Enden. Eine vorne, eine hinten, eine drunter, eine drauf.«
»Halt, halt, halt!«, wehrte Wolf ab. Er wollte es sich doch nicht vorstellen. »Erspar mir bitte die Einzelheiten!«
Großmutter kicherte. »War ich zu frivol? Du wirkst bestürzt.«
»Du musst mir verzeihen, ich bin etwas perplex. Die Hexe hat mir nie davon erzählt.«
»Wundert es dich? Amouröse Abenteuer an die große Glocke zu hängen, zeugt nicht von gutem Stil. Und deine Hexe war eine sehr würdevolle Frau und äußerst diskret. Damals jedenfalls.« Großmutter schwieg eine Weile. »Es ist so traurig, was mit ihrem Sohn geschehen ist«, sprach sie leise weiter.
»Mit wem?« Wolf dachte, sich verhört zu haben. »Sohn? Sie hatte einen Sohn?«
»Das wusstest du nicht? Kann es sein, dass du dich für deine Freunde und Bekannten zu wenig interessierst?«
»Ich bin nicht neugierig«, stellte er klar. »Das ist etwas völlig anderes. Also, wie war das mit ihrem Sohn?«
»Sie schenkte einem strammen, gesunden Knaben das Leben. Mein Gott, ist das lange her. Ich kann mich gar nicht recht entsinnen …« Großmutter sackte in sich zusammen. Es schien, als würden sich dunkle Wolken über ihre Erinnerung legen, als wäre sie drauf und dran, wieder in einen ihrer Dämmerzustände zu fallen.
»Warte!«, versuchte Wolf sie im Hier und Jetzt zu halten. »Wer war sein Vater? König Dummling?«
Großmutter nickte. »Natürlich. Außer ihm gab es keine Männer in ihrem Leben.«
»Aber was ist aus diesem Sohn geworden? … Großmutter? Hörst du mich? Dieser Sohn … Wo ist er geblieben?«
Langsam drehte sie ihren Kopf in Wolfs Richtung. »Wastl«, hauchte sie heiser. »Da bist du ja.«
Nein, bitte nicht, dachte Wolf, nicht diese Wastl-Sache!
»Wo ist das Stöckchen, Wastl?« Großmutters Blick war trüb geworden. »Hm? Bring mir das Stöckchen!«
Wolf tat ihr den Gefallen. Weiter hinten im Garten lag ein abgebrochener Ast unter einem Zwetschkenbaum. Ohne besondere Eile schlenderte er hin, nahm ihn auf und trug ihn zu Großmutter.
»Du bist ein braver Wastl«, lobte sie. »So ein guter, kleiner Wauwau.« Sie griff nach dem Ast und schleuderte ihn von sich. Der Stock fiel drei Zoll vor ihren Füßen zu Boden. »Bring das Stöckchen, Wastl! Lauf und bring es mir!«
Wolf bückte sich, hob es auf und legte es in ihren Schoß. Wieder warf sie den Ast, wieder landete er direkt vor ihren Beinen.
»Guter Wastl!«, flötete sie. »So ein hübscher Kerl! Wie macht der tote Hund? Na, wie macht er denn?«
Gehorsam legte sich Wolf auf den Rücken und streckte alle viere von sich.
Wastl war vor langer Zeit Großmutters Dackel gewesen, der eines Tages spurlos verschwunden war. Ganz alleine war er in den Wald gelaufen und prompt einem jungen, noch nicht sozialisierten, dafür sehr hungrigen Wolf begegnet. Tja, und dann hatte eines zum anderen geführt, und von Wastl war nur eine schwache Erinnerung in Großmutters marodem Gehirn geblieben.